Minimalismus, Psychologie
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Warum Minimalismus nach dem Ausmisten verdammt weh tun

Wunderkerze

by Jamie Street / via unsplash.com

Vor ein paar Tagen habe ich mich nach einer verdammt langen Zeit mal wieder mit meinem Reader beschäftigt. Auch wenn dieser automatisch alle Beiträge löscht, die älter als ein Monat sind, musste ich mich durch ziemlich viele Beiträge und Artikel all meiner verfolgten Blogs klicken.
Dabei ist mir bei den vielen Schreiberlingen im Bereich des Minimalismus wieder aufgefallen, dass viele Minimalismus fast ausschließlich über die Anzahl der Gegenstände definieren. Dies finde ich entschieden zu kurz gegriffen. Ich kann aber auch verstehen, warum dies so ist.

Viele finden zum Minimalismus über ein Gefühl des Zuviel. Es ist erst ein unbewusstes und nicht allzu leicht zu fassendes Gefühl. Sie merken, dass sie etwas belastet und glauben irgendwann, dass es an all dem Zeug liegt, welches sich in ihren Wohnungen angesammelt hat. Mir erging es vor über fünf Jahren ähnlich.
Dann wird ausgemistet, verkauft, verschenkt und weggeworfen, was das Zeug hält. Nicht alles auf einmal sondern in vielen Wellen. Und am Ende fühlen sie sich tatsächlich erleichtert und besser.

Und nun?

Tja… Danach wird immer weiter auf diesem Thema herumgeritten und es aus allen möglichen Sichtweisen interpretiert. Dazu, von all dem Eifer gepackt, wird mit dem Ausmisten weiter gemacht. Auch wenn schon nix mehr da ist. Aber da muss ja noch was gehen. All die Leute in den Videos und Blogbeiträgen habe ja (vermeintlich) auch fast nix in ihren Wohnungen. Da muss man doch auch irgendwie hinkommen.
Und so wird über die eigene Wohlfühlschwelle hinaus reduziert. Da muss der Fernseher dran glauben, weil es in diesen Kreisen verpönt ist, einen zu besitzen. Einen TV haben ja nur Leute, die ein bisschen blöd sind. Oder das Auto, denn eines zu besitzen ist ja total umweltzerstörend, zudem total teuer und natürlich doof…

Mag ja alles richtig sein. Aber irgendwann stellen viele dann fest, dass es eigentlich doch ganz schön ist, sich mal auf der Couch einzukuscheln und einen Film zu schauen. Oder mit dem Auto schnell und ohne große Mühe irgendwohin zu kommen. Und dann werden die Sachen wieder angeschafft. Auch ich kann mich von diesem Fehler nicht freimachen…

Worum geht es beim Minimalismus wirklich?

Ich behaupte, dass hinter all dem der Wunsch nach Freiheit steckt. Der Wunsch, sein Leben so leben zu können, wie man es gerne würde. Hinter weniger zu besitzen und durch Konsumreduzierung weniger Geld auszugeben steht der Wunsch, sein Leben einfacher nach den eigenen Wünschen gestaltet zu können. Wir wollen nicht mehr in diesem RatRace mitmachen und mit den Nachbarn um das tollere Auto konkurrieren.
Wir wollen vielleicht lieber malen, schreiben, einen Garten bepflanzen, in der Sonne oder auf der Couch liegen und die Gedanken schweifen lassen…
Und deswegen wollen wir eigentlich weniger Arbeiten, uns mit den Menschen umgeben, die uns wirklich wichtig sind, mit den Sachen beschäftigen, die für uns Sinn ergeben und an dem Ort leben, an dem es uns wirklich gut geht.

Mein Wunsch nach Freiheit

Genau diese Freiheiten habe ich mir insgeheim gewünscht, als ich mit dem Reduzieren begonnen habe. Ich wollte nicht in einer leeren Wohnung sitzen und kahle Wände anschauen. Ich wollte nur noch die Sachen um mich haben, die mir wirklich etwas bedeuten und die mir Freude schenken. Und ich wollte eben dieses Zeug einfach von einem Ort zu andern umziehen können. Mehr Zeit für die Tätigkeiten haben, die mich wirklich interessieren, die für mich einen Sinn ergeben und die mir Freude machen. Und nicht zuletzt wollte ich auch einfach Zeit für Muße* haben…

Aber…

Und hier wird die ganze Sache interessant: Das einfache Ausmisten ist nur mit wenig Schmerz verbunden. Klar, wir trennen uns vielleicht von Dingen, die uns etwas bedeuten. Aber der (Wachstums-)Schmerz, den wird dabei empfinden, hält sich in Grenzen.
Vor allem deswegen, weil wir auch direkt belohnt werden: Denn entweder bekommen wir schon durch den Verkauf von unserem Zeug etwas Geld in unsere Kassen. Oder wir geben weniger aus und haben so mehr Geld in der Tasche. Geld ist hier ein wunderbarer Verstärker, denn er lässt sich ziemlich einfach erfassen und messen.

Aber wenn ich mich ernsthaft mit der Frage beschäftige, ob ich die Arbeit in die ich tagtäglich mehr als 8 Stunden investiere, auch wirklich ausüben möchte, kann es ziemlich schnell sehr, sehr weh tun. Wenn ich zu dem Entschluss kommen würde, dass ich meine (Lebens-)Zeit lieber mit anderen Dingen verbringen möchte, dann ist dies mit sehr großen Schmerzen verbunden. Denn dann müsste ich mich eigentlich damit beschäftigen, wie ich aus dieser Falle herauskomme. Und dadurch kommen genau die Fragen hoch, die ans Eingemachte gehen!
Genauso habe ich vor einigen Monaten schon mal die Frage nach dem Lebensort gestellt. Dabei war den Kommentaren zu entnehmen, dass die wenigstens sich den Ort, an dem sie Leben wirklich ausgesucht haben. Hier kann ich aus eigener Erfahrung sagen, wie viele Schmerzen es mir bereitet hat (und weiterhin tut), genau diesen einfach Schritt zu machen. Aber dazu ein andermal mehr.

Die wichtigen Fragen im Leben sind Schmerzhaft!

Fakt ist, die Beschäftigung mit den wirklich wichtigen Fragen zu unserem Leben und der eigenen Zufriedenheit, sind verdammt schmerzvoll. Aber ich kann auch verstehen, dass diese Fragen nicht gestellt oder umgangen werden. Denn diese könne im schlimmsten Fall sogar krankmachen. Denn wenn ich zu dem Schluss komme, dass ich vermeintlich nichts an meiner Situation ändern kann, so kann dies in einer handfesten Depression oder schlimmerem enden.

Trotzdem bleibe ich dabei, dass die wirklich wichtigen Fragen des Minimalismus noch nicht angegangen wurden! Für das Problem mit dem vielen Zeug bestehen schon genug Lösungsansätze, damit jeder dem Herr werden kann.
Aber zu den oben genannten Themen existieren so gut wie keine Herangehensweisen und Lösungen, die jedem Einzelnen da draußen helfen können, der diese Zeilen hier ließt und sich nicht nur oberflächlich mit dem Minimalismus auseinandersetzen möchte. Wobei ich aber auch weiß, dass das nicht viele Personen sein dürften…

Was ist für Dich die Motivation hinter einem einfachen, minimalistischen Leben? Was sind für Dich die Themen, die nach dem Ausmisten kommen? Und beschäftigst Du Dich mit den Themen, die Dir wirklich wehtun? Welche sind dies für Dich?

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