Das Zuviel ist im Minimalismus ein, wenn nicht der zentrale Punkt. Ohne diesen würde der Wunsch nach einem einfachen Leben wohl kaum existieren. Und genau dieses Zuviel treibt mich seit Jahren an, mein Leben einfacher zu gestalten. Dass dies nicht wirklich einfach ist, zeigt allein schon die Tatsache, dass mich dieses Thema nach fast 10 Jahren weiter beschäftigt.
Kein Geheimnis ist auch, dass mich aktuell grade die „digitale“ Überforderung dranbleiben lässt. Und leider ist der Punkt in den letzten Jahren immer größer und fordernder geworden:
Damals
So besaß ich Mitte der 2000er Jahre eine Playstation 2. Und da ich mir mit kleinem Aushilfslohn zu dieser Zeit kaum Spiele leisten konnte, ließ ich die Konsole umbauen, um „Sicherheitskopien“ abzuspielen. Eigentlich eine super Sache. Aber anders als bei der Playstation 1 zuvor, hatte ich nun mehr Geld zu Verfügung als noch als Schüler. Und somit öfter die Möglichkeit, Sicherheitskopien von den Spielen der örtlichen Videotheken anzulegen. Zusammen mit einem Freund fuhren wir am frühen Nachmittag hin, liehen uns drei Spiele aus (weil drei zusammen besonders günstig waren), radelten zurück nach Hause, kopierten die Spiele und brachten sie meist am selben Tag wieder zurück.
Das „Spielen“ der Games beschränkte sich meist drauf, zu schauen, ob die Kopien auch liefen. Ich spielste die Spiele höchstens einige Stunden an. Registriert habe ich diese „Überflusshemmung“ damals nicht. Im Gegenteil: Es war aufregend, so an immer neue Games zu kommen.
Mit der nächsten Konsolengeneration machte ich zunächst denselben Fehler: Das Laufwerk meiner Xbox 360 ließ ich flashen, natürlich um „Importe“ zocken zu können. Aus dieser Zeit erinnere ich mich nur an ein einziges Spiel, welches ich wirklich gespielt habe: Batman Arkham Asylum*. Leider rauchte am 18.02.2010 meine 360 ab und ließ mich über ein Jahr ohne Spielekonsole leben.
Erst ein Jahr später kaufte ich mir die Playstation 3. Bewusst aus dem Grund, dass ich dort nicht die Möglichkeit haben würde, Kopien zu spielen. Ich wollte mir eine bewusste Beschränkung auferlegen, damit ich nicht wieder in diese Zuviel-Falle tappe. Leider wurde es nach einiger Zeit doch möglich, ISOs abzuspielen. Und da ich gerne bastle, baute ich mir meine selbst Konsole um. Was nur wieder dazu führte, dass sich zu viele Spiele auf der Festplatte ansammelten und nie gespielt wurden. Und es machte mich nicht glücklicher.
So entschied ich mich bei Erscheinen des Rally-Games Dirt 3*, meine Playstation zurück auf Werkszustand zu setzen. Keine Kopien oder ISOs mehr! Und ich merkte, dass ich wieder mit mehr Freude spielte. Einfach, weil ein gewisser finanzieller als auch zeitlicher Aufwand mich davon abhielt, an neue Spiele zu kommen. Bis heute bin ich nur in wenige Fällen bereit, den Vollpreis zu zahlen. Und so suche ich immer nach guten Angeboten und kaufe heute fast alles gebraucht. Zudem besitze ich aktuell keine Möglichkeit mehr, Kopien auf dieser Konsole zu spielen. Obwohl dies technisch möglich wäre…
Erst der Aufwand lässt den Wert erkennen
Aus dieser kleinen Geschichte lernte ich, dass der kostengünstige oder gar freie Zugang zu Gütern sie nicht unbedingt attraktiver macht. Im Gegenteil: Ich hatte mehr Spaß und lernte Dinge zu schätzen, für die ich einen gewissen Aufwand betreiben musste.
Allerdings hielt dieser Zustand nicht lange. Spätestens seit fünf oder sechs Jahren gibt es für fast alles eine „Flatrate“. Musik (Spotify/Napster/Deezer/Tidal), Serien und Filme (Netflix/Prime/Maxdome), Games (freie Spiele jeden Monat bei PS+ und GwG/GamePass und PS Now/bald vermutlich Stadia), Bücher (Prime Reading/Skoobe), Zeitschriften (Readly), Hörbücher (Bookbeat). Es gibt zig Dienste und Firmen, die uns mittlerweile für fast alle Unterhaltungsprodukte einen unbegrenzten Zugang auf einen (zwar begrenzten, aber viel zu großen) Katalog an Medien geben.
Die Kulturflatrate, die wir uns, mich eingeschlossen, vor 10-15 Jahren lautstark (im Zuge der Urheberrechtsdebatten) gewünscht haben, ist mittlerweile Realität. Der Markt für den Kauf einzelner Medienprodukte schrumpft immer weiter zugunsten solcher Angebote. Und ich tappe immer wieder in diese Falle: Warum soll ich mir im Laden eine Zeitschrift (ich liebe Zeitschriften!) für 7€ kaufen, wenn ich alle für 9.99€ im Monat lesen kann? Oder warum ein Spiel, Hörbuch oder eine BluRay erwerben, wenn ich alle für den gleichen monatlichen Betrag pro Medium streamen kann? „Ich bin doch nicht blöd!“ Oder?
Ich denke jedoch, dass ich genau deswegen blöd bin, grade weil ich auf diesen Gedanken immer wieder hereinfalle. Das Überangebot an Auswahl lässt mich mehr Zeit damit verbringen, auszuwählen, anstatt zu genießen. Zudem hinterlässt es dieses Unbehagen, ob ich denn nicht ein besser Wahl hätte treffen können. Auch als fear of missing out bekannt. Und es gibt noch weitere Punkte, die ich an späterer Stelle weiter ausführen möchte. Denn dieses Thema lässt mich schon seit langem nicht mehr los.
Peak attention
Und diese Erkenntnis scheint sich langsam auch in den Köpfen andere Menschen breitzumachen. In meiner Bubble taucht seit etwa einem Jahr immer wieder der Begriff „peak attention“, Aufmerksamkeitshoch auf. Er beschreibt die Tatsache, dass die meisten Konsumenten in unserer Gesellschaft den Punkt überschritten haben, an dem genug freie Zeit und Aufmerksamkeit zur Verfügung haben, um all die vielen (Medien)Produkte auch zu konsumieren.
„…, engagement has declined throughout the sector, suggesting that the attention economy has peaked. Consumers simply do not have any more free time to allocate to new attention seeking digital entertainment propositions, which means they have to start prioritising between them.“ So beschreibt es Karol Severin auf in einem Artikel auf Gamesindustry.biz ziemlich treffend. Und Tim Wu schrieb bereit 2017 ein ganzes Buch über die „Aufmerksamkeitshändler“*.
Und noch mehr Angebot…
Wer sich also nach der letzten Apple-Keynote fragt, warum dort ein digitales Zeitschriftenabo, eine Kreditkarte, ein Spiele-App-Abo und zusätzlich ein TV-Streamingabo (neben dem bereits vorhandenen Musikstreamingdienst von Apple) angekündigt wurde und warum es immer mehr solcher Abomodelle und immer weniger Möglichkeit gibt, seine Medien selbst, außerhalb von irgendwelchen Apps, zu konsumieren, dem sei gesagt: Es geht um genau diesen Attentionpeak!
Die Konzerne sind sich bewusst darüber, dass wir in Zeiten leben, in denen sich jeder Mensch in unserer Gesellschaft diesen schier endlosen Medienkonsum finanziell leisten kann (was noch vor 10 Jahren kaum möglich gewesen ist). Und da diese Abomodelle für die Konzerne heute mehr oder weniger die einzige Möglichkeit ist, überhaupt noch Geld mit Medien zu verdienen, versucht jeder sich ein Stück vom Kuchen zu sichern. Denn die Wenigsten werden sich alle Abomodelle gleichzeitig leisten. Entweder aus finanziellen oder aus zeitlichen Gründen.
Unsere Aufmerksamkeit ist neben unseren Daten und unserer Arbeitskraft heute das wertvollste Gut, welches wir Menschen heute verkaufen können.
Und auf dem Markt gibt es zu viele Anbieter, die um eben diese Aufmerksamkeit konkurrieren. Und es werden auch in der nahen Zukunft mehr.
Wie diese Geschichte ausgehen wird, kann ich nicht vorhersagen. Wie ich mit meiner Überforderung aktuell umgehe, werde ich in einem kommenden Artikel weiter ausführen. Mich beschäftigt dieses Thema nicht nur gedanklich, sondern ich teste auch grade konkret Wege und Möglichkeiten. Und ich denke, dass das Zauberwort „offline“ heißt. Aber dazu komme ich ein anderes Mal…